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Es geht um das jetzt

Winter 2001/2002

Für die verbrechen während des Naz(ionalsozial)ismus trugen aus meiner sicht immer diejenigen Deutschen die schuld, welche nicht alles getan haben, was sie konnten, um unrecht zu verhindern, oder zu beenden. Keine entschuldigung konnte irgentwelche gültigkeit behaupten angesichts der gewaltigkeit des unrechts.

Die direkt verantwortliche generation ist mittlerweile fast ausgestorben. Unsere verantwortung als nachkriegsgeneration schien offensichtlich und klar definiert: nie mehr faschismus - nie mehr krieg. Doch werden wir unserer verantwortung gerecht? Leisten wir widerstand, wenn es geboten ist?

Wann ist das was geschieht schlimm genug, damit wir alles tun, was wir können, um unrecht zu verhindern oder zu beenden? Wann ist es so, wie es damals war? Es geht natürlich nicht darum. In wirklichkeit geht es vielmehr darum, sich immer wieder einzureden, dass es so schlimm wie damals ja doch (noch) nicht sei - und weiterzumachen mit seinem geordneten leben. Genauso wie die vorherigen generationen auch.

Nürnberger Tribunal als Siegerjustiz

Nürnberg war kein Internationalen Militärgerichtshof, wie er benannt wurde, sondern wurde von den vier siegermächte durchgeführt, die als gesetzgeber, anklager und richter in einem fungierten. Die rechtsgrundlagen und prozessregelnregeln wurden von den siegermächten nach der deutschen kapitulation festgelegt. Die üblichen grundsätze der beweisführung wurden außer kraft gesetzt. Offiziellen dokumente und berichte der siegermächte wurden als beweise unhinterfragt akzeptiert. Ebenso sogenannte allgemein anerkannte tatsachen. Die verteidigung wurde massiv eingeschränkt. Angeklagte wurden gefoltert.

Kurz, das Nürnberger Militärgericht war ein schauprozeß. Geschichte wurde geschrieben. Die meisten geschichten sind die geschichte der herrschenden, und der sieger. Der zweite weltkrieg wurde zum nahezu unumstrittenen symbol des 'gerechten krieges' gemacht, und die kriegsverbrechen der Alliierten gerechtfertigt. Die sieger setzten sich als die 'guten', die verlierer als die 'bösen'.

Gerechtigkeit im sinne eines zur verantwortung ziehen der täter hätte massenfestnahmen und prozesse erfordert. Prozesse, die die täter ermutigen, sich zu ihrer eigenen verantwortung bekennen und sich zu ändern. Hunderttausende hatten aktiv and den deportationen, der verfolgung und der ermordung von menschen mitgewirkt. Ihre einzige entschuldigung war letztlich der befehl von oben und angst vor repression. Die meisten schwiegen und leugneten ihre verantwortung. Statt dessen wurden einige wenige symbolisch abgeurteilt.

Damit wurde es möglich, eine tatsächliche aufarbeitung der geschichte zu verhindern. Gegen das vergessen, so heißt es. Der punkt ist, daß sich generationen von Deutschen letztlich vor allem damit beschäftigt haben, ihre persönliche mitwirkung und verantwortung an den verbrechen ihrer gesellschaft zu leugnen. Generell hat kaum jemand was gewußt - obwohl das offensichtlich eine lüge ist. Die täter wollten möglichst schnell alles vergessen, oder zumindest unter den tisch kehren. Die mitläufer liefen weiter mit. Viele der opfer konnten nicht reden.

Die art und weise, wie geschichte erinnert wird, ist entscheidend. Geschichte aus lehrbüchern und massenmedien ist unpersönlich und steril. Für Deutsche erzeugt die geschichte dumpfe gefühle, ritualisierte schuldbekenntnisse und empörung, wie ernsthaft auch immer gemeint. Die geschichte der sieger durfte auch nicht ernsthaft hinterfragt werden. Die gesellschaft änderte sich mit der zeit, aufbauend auf den von den siegern implementierte vorgaben. Die menschen blieben in vielerlei weise gleich.

Das absolut Böse

Ich habe lange geglaubt, daß der Nazismus das schlimmste war, was die menschheit hervorgebracht hat. Erst später wurde mir die dimension der verbrechen des Kolonialismus oder des Stalinismus klarer. Zahlreiche völker sind grausam unterdrückt oder ausgerottet worden. Sowohl vor als auch nach den deutschen KZs starben millionen in lagern. Und es geht heute weiter so. Fakt ist, die geschichte ist voll von grausamer unterdrückung, massenvernichtung und kriegen, allen voran durch die Europaer.

Die systematische massenvernichtung von minderheiten oder völkern ist ebensowenig einmalig, wie die massenhafte verfolgung und ermordung von oppositionellen. Die mittel und methoden ändern sich, und ausmaße fluktuieren, aber die europäische geschichte is voll davon. Wenn es um ein relativieren der verbrechen des Nazismus geht, wird meist angenommen, das diese verharmlost werden sollen. Aber werden nicht die verbrechen des Nazismus systematisch zur verharmlosung oder legitimierung der verbrechen vor allem der Alliierten siegermächte benutzt, sowohl damals als auch heute? Indem das absolut böse definiert wird, ist dann alles andere relativ nicht so schlimm?

Die Europäer machen Hitler zur abweichung von sich selbst, dabei ist Hitler in vieler hinsicht ein exemplarischer Europäer. Dies stehlen und plündern mit legalem titel, die beute dargestellt als verdienter reichtum. Dieser wille zur gewalt, zur unterjochung, beherrschung, assimilation und vernichtung von menschengruppen und ganzer völker, dargestellt als notwendig für den fortschritt der menschheit. Dieser rassismus, der extreme ausbeutung und erniedrigung, rationalisierte menschenverachtung und massenvernichtung legitimiert. Totalitarismus und totaler krieg unter dem banner von freiheit, frieden und gerechtigkeit. Barbarei propagiert als höchste kultur und überlegene zivilization. Das ist es, was die Europäer spätestens seit der zeit von Kolumbus kennzeichnet.

Deutschland wurde nicht befreit

Es heißt oft, daß Deutschland durch die Alliierten befreit wurde. Das konzept von fremdherrschaft kann jedoch nicht auf die deutsche situation angewandt werden. Deutschland war weder von den Nazis erobert worden, noch waren sie besatzer. Die Deutschen konnten für ihre befreiung kämpfen, und hätten sich so selbst befreien können. Die Alliierten konnten den krieg gewinnen und die besiegten länder besetzen. Kann eine besatzung auch eine befreiung sein? Die ersetzung einer form von unterdrückung durch eine andere ist sicherlich keine befreiung in einem weiterem sinne, wie auch immer subjektiv wahrgenommen.

Der weitaus größte teil der deutschen bevölkerung unterstützte die Nazis. Sicherlich nahm die zustimmung ab, als sich die lebensituation im laufe des krieges verschlechterte und die niederlage immer mehr abzeichnete. Die kapitulation beendete das sinnlose sterben und den terror der bomben. Verfolgte, untergetauchte oder zwangsrekrutierte konnten aus ihrer situation befreit werden. Aber die Nazis und braven bürger konnten nicht von sich selbst befreit werden. Die große mehrheit der Deutschen wurde nicht befreit, sondern hatte einfach die regeln der besatzung zu befolgen und versuchte das beste aus der situation zu machen. Und weil fast alle das gleiche taten und die materielle not gewaltig war und alle kräfte absorbierte, konfrontierten sich die menschen wenig mit ihrer vergangenheit und ein mantel des schweigens ist über so vieles gelegt worden. Die idee von der befreiung durch die sieger konstruiert die deutsche bevölkerung als opfer denn als täter.

Der mythos von der fremdherrschaft der Nazis über die deutschen hat wenig mit der realität zu tun. Der boykott jüdischer geschäfte bedeutete für andere gutes geschäft. Die vertreibung und deportation der einen bedeutete aussicht auf jobs und wohnung für andere. Für viele verbesserte sich die lebenssituation während der ersten jahre des Nazismus. Die zerschlagung unabhängiger gewerkschaften und arbeiterkämpfe, millionen von zwangsarbeiterInnen und die systematische ausbeutung der eroberten gebiete ermöglichte die verbesserung der versorgungssituation für viele Reichsdeutsche trotz der zunehmenden verwendung von resourcen für den krieg. Erst die späten phasen des krieges brachten leid und elend für die breite masse.

Zweiter Weltkrieg ging um Vorherrschaft

Ein offensichtliches beispiel für geschichte der sieger ist der Zweite Weltkrieg. Das Deutsche Reich wurde einseitig fur den krieg verantwortlich erklärt. Die Alliierten als überlegene retter der menschheit vor dem bösen dargestellt. Diese version hat nicht viel mit den realitaten des krieges zu tun. Ging es doch vor allem um den kampf um vorherrschaft der verschiedenen großmächte, um eine neuaufteilung von weltmacht und einflusszonen unter den europäischen großmächten und Japan. Auch die entwicklung von industrie und technik hatte dazu beigetragen, militärische ungleichgewichte und schwächen aufzutun.

Beide sogenannten Weltkriege wurde um die vormachtstellung in Europa, und mehr noch definition und verteilung von weltmacht geführt. Die weltmacht ging über zu anderen Europärn, den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und der Union der Sozialistischen Sovietrepubliken (UdSSR). Immer wieder haben die Europäer krieg gegeneinander geführt, und immer größere teile der welt mit reingerissen. Es waren weltkriege im sinne von weltweit geführtem krieg um weltherrschaft.

Der sogenannte Kalte Krieg begann, als die USA und UdSSR noch Alliierte waren. Die USA machten die von ihnen besetzten länder (BRDeutschland, Italien, Japan) zu zentralen außenposten und drehscheiben für ihre militärische machtprojektion. Wie auch vorher schon die Philippinen, nach der niederschlagung der antikolonialen revolution 1899-1906, welche zuvor die Spanier zum rückzug gezwungen hatte. Wir müssen nur die entscheidende rolle Japans im Korea-krieg 1950-53 sehen, wonach auch Korea geteilt, und Südkorea zum großen US-militärstützpunkt gemacht wurde. Und die rolle der japanischen, südkoreanischen, philippinischen basen fur die kontrolle der pazifischen und indischen ozeane. Oder die rolle der deutschen und italienischen militärbasen und infrastruktur für die kriege gegen Jugoslavien und Irak.

Krieg gegen Jugoslawien beweist unser Scheitern

Mit dem krieg gegen Jugoslawien manifestierte sich das völlige scheitern der deutschen nachkriegsgenerationen in der umsetzung auch nur der elementarsten lehren aus dem Nazismus. Nie wieder sollten deutsche truppen gegen andere völker und staaten eingesetzt werden. Nie wieder sollte krieg von deutschem boden ausgehen. Krieg ist niemals gerecht oder humanitäre massnahme. Es geht einzig und allein um hegemonie und herrschaft.

Statt sich dem krieg entschieden und massiv entgegenzustellen, erwiesen sich die Deutschen erneut als willige untertanen. Als hauptkriegstreiber hatten die USA und BRD erfolgreich Jugoslawien gespalten und in einen blutigen bürgerkrieg getrieben. NATO zeigte sich als aggressives bundniss, wie wir immer annahmen. Kein aspekt von selbstverteidigung, sondern feige bombardierung aus der luft, ohne moglichkeit zur gegenwehr.

Gegen den Demokratischen Totalitarismus

Natürlich ist der heutige demokratische totalitarismus anders als die vorherigen. Vor allem die geographische ausdehnung ist viel grösser. In der historischen krise des kapitals wurde politik insgesamt rein repressiv. Demokratie, sozialismus, faschismus, militärdiktatur und zunehmend auch die nationalstaaten an sich wurden rein taktische instrumente mit dem gemeinsamen ziel der herstellung/aufrechterhaltung von günstigen bedingungen für die realisierung einer ausreichenden profitrate.

Die entwicklung des demokratischen totalitarismus war lange vom Kalten Krieg überlagert und verdeckt worden. Ausgehend von multi und transnationalisierungsprozessen von kapital und produktion sahen wir eine zunehmende vereinheitlichung der wirtschaftspolitischen konzepte. Geld wurde zum ultimativen druckmitteln sowohl auf internationaler als auch nationaler ebene. Und hinter dem finanzsystem stehen das Pentagon und die NATO als letztliche garanten der ordnung.