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KRIEGSMEDIZIN/023: Weißer Phosphor - IPPNW factsheet Januar 2009 (IPPNW)
IPPNW -
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
Weißer Phosphor
Eine Bombe und ihre medizinischen Folgen
Die wichtigsten Punkte
Eine Phosphorbombe ist eine Brandbombe, die ein Gemisch aus
weißem Phosphor und Kautschuk enthält. Weißer Phosphor und seine
Dämpfe sind hochgiftig. Er verursacht schmerzvolle Verbrennungen
zweiten und dritten Grades mit schlechter Heilungstendenz. Der Einsatz
von Brandwaffen gegen Zivilpersonen ist entsprechend dem Verbot von
unterschiedslosen Angriffen in den Zusatzprotokollen von 1977 zu den
Genfer Abkommen von 1949 verboten, nicht jedoch ihr Einsatz im
Allgemeinen.
Weißer Phosphor ist eine farblose bis gelbliche, wachsähnliche
Masse von stechendem, knoblauchähnlichem Geruch.
Wenn Weißer Phosphor mit Luft in Verbindung kommt, entzündet er sich
und oxidiert rasch zu Phopshorpentoxid. Diese Reaktion produziert eine
1.300 Grad heiße Flamme unter starker Entwicklung von dichtem, weißem
Rauch. Die chemische Reaktion dauert so lange an, bis das Material
aufgebraucht ist oder ihm der Sauerstoff entzogen wird.
Weißer Phosphor und seine Dämpfe sind hochgiftig. Für einen
Erwachsenen sind bei direkter Aufnahme schon 50 mg tödlich. Der Tod
tritt nach 5 bis 10 Tagen ein, die Giftwirkung beruht auf einer
Störung der Eiweiß- und Kohlenhydratsynthese. Ein zweijähriges Kind
kann bei einer Dosis von nur 2 mg Weißem Phosphor innerhalb weniger
Stunden sterben.
Auf der Haut verursacht Weißer Phosphor sehr schmerzhafte Brandwunden
mit schlechter Heilungstendenz. Die Wunden haben eine gelbliche
Färbung und riechen nach Knoblauch. Zum Teil sind die Verletzungen
sehr tief, da die fettlöslichen Phosphorpartikel bis zum Knochen
vordringen können. Die Reaktion kommt erst dann zum Erliegen, wenn der
Weiße Phosphor vollständig verbrannt ist oder wenn die Wunde luftdicht
abgeschlossen wird.
Dr. Nafez Abu Schaban, Spezialist für plastische Chirurgie und
Brandverletzungen im Schifa-Hospital, dem größten palästinensichen
Krankenhaus in Gaza, berichtete laut Frankfurter Rundschau von dem
18-jährigen Patienten Mahmud al-Dschamal, der am 18. Januar 2009 mit
Brandwunden übersät zu ihm ins Krankenhaus kam; fünf Stunden nach dem
erlittenen Angriff entwich noch weißer Rauch aus den Wunden. Den
Anästhesisten traf beim Säubern versehentlich ein winziger Phosporrest
am Hals. An dieser Stelle habe der Kollege jetzt selbst eine
Brandwunde.
Experten empfehlen, Kleidungsstücke mit brennenden Partikeln Weißen
Phosphors sofort zu entfernen, bevor sich die Substanz bis zur Haut
durchfrisst. Wenn das nicht möglich ist, sollten die betroffene Haut
und die Kleidungsstücke in kaltes Wasser getaucht werden, um den Brand
zu löschen. Sichtbare Phosphorstücke könnten mit einer Pinzette
entfernt werden. Mit Phosphor kontaminierte Wunden müssten so schnell
wie möglich mit einer 0.5-2.0 % Kupfersulfatlösung gespült werden,
damit kein Phosphor ins Blut gelangen kann. Anschließend sollte die
Wunde mit isotoner Kochsalzlösung und mit Natriumperboratlösung
gründlich gespült werden, um eine Kupfervergiftung zu vermeiden.
Kupfersulfat reagiert mit Phosphor zu ungefährlichen Verbindungen, die
sich auswaschen lassen.
Falls keine Kupfersulfatlösung zur Hand ist, empfiehlt der
Militärmediziner Rebentisch als Erstmaßnahme einen möglichst
luftdichten Feuchtverband, um den Kontakt von Phosphorpartikeln mit
Sauerstoff zu verhindern.
Zum akuten Vergiftungsbild nach Einatmen von Phosphordämpfen gehören
heftige Reizerscheinungen an den Schleimhäuten der Augen und der
Atemwege. Im weiteren Verlauf kann sich ein toxisches Lugenödem mit
Kreislaufkollaps entwickeln. Inkorporation von Phosphor führt zu
schweren Leber- und Nierenschäden (akute Leberdystrophie,
Nierenversagen; bei Überleben der Akutphase Lebercirrhose,
Niereninsuffizienz). Aufgrund der hohen Toxizität des Phosphors
besteht in Gebieten, in denen Phosphorbomben eingesetzt wurden, eine
dauerhafte Gefährdung der Bevölkerung.
Eine lang anhaltende Aufnahme von Phosphor - wie sie z.B. bei
Streichholzmachern im 19. Jahrhundert beobachtet wurde - kann Anämie,
Lebercirrhose, Kachexie und Schädigungen der Knochengefäße mit
Knochendegeneration und Knochennekrosen hervorrufen; besonders waren
davon die Kieferknochen betroffen.
Einsatz von Weißem Phosphor im Krieg
Im 2. Weltkrieg wurde Weißer Phosphor in London, Dresden, Hamburg und
Cherbourg eingesetzt, in den 1950er Jahren auch im Koreakrieg. Saddam
Hussein benutzte Weißen Phosphor 1988 in Halabja, die Russen 1994 im
Tschetschenienkrieg. Der italienische Fernsehsender RaiNews24 deckte
im November 2005 auf, dass die USA im dritten Irakkrieg
Phosphor-Brandwaffen einsetzten; in Fallujah wurden 2004 während der
Operation "Phantom Fury" Aufständische mit Phosphorgranaten aus
geschützten Stellungen getrieben, um sie dann mit anderen Waffen
bekämpfen zu können. Die US Army leugnete den Einsatz zunächst, gab
ihn jedoch später zu. Ein GI berichtete, er habe Leichen von
Phosphorwaffen-Opfern beseitigen müssen. Die USA haben die
Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949, die
"unterschiedslose" Angriffe untersagen, nicht unterzeichnet. Sie
rechtfertigten den Einsatz Weißen Phosphors damit, dass er nicht als
chemische Waffe auf Grund seiner Giftigkeit verwendet werde, sondern
als Rauch-, Leucht- und Brandmunition i. S. einer konventionellen
Waffe.
Wie mittlerweile auch von offizieller Seite bestätigt, setzten die
Israel Defense Forces im Libanonkrieg 2006 Phosphorbomben gegen die
Hisbollah ein. Auf Grund der Verletzungsmuster vermuteten die Ärzte im
Libanon zuerst den Einsatz von Phosphorbomben. Die Untersuchung von
Partikeln aus den Wunden ergaben aber ein Gemisch aus
Wolfram-Kupfer-Aluminium, was den Einsatz von DIME-Bomben (Dense Inert
Metal Explosive) nahelegt. Metallpulver sind im allgemeinen schon bei
Raumtemperatur an der Luft selbstzündfähig. Das Verletzungsbild ähnelt
dem der Phosphorbomben, zusätzlich entsteht aber eine starke
gerichtete Impulswirkung.
Auch im Verlauf der Operation "Gegossenes Blei" im Gazastreifen wurden
laut Amnesty International Phosphorbomben eingesetzt. Die israelische
Armee soll am 15. Januar 2009 sogar das Hauptquartier des
UNO-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) mit
Phosphorgranaten beschossen haben, mehrere tausend Tonnen Lebensmittel
wurden vernichtet. Nach Marc Garlasco, Militäranalyst bei Human Rights
Watch, seien diese Waffen überall in Gaza in dicht besiedelten
Wohngebieten eingesetzt worden. Die Zahl der explodierten
Phosphorgranaten sei viel größer als von der israelischen Armee
zugegeben.
Internationales Recht
Der Einsatz von Brandwaffen gegen Zivilpersonen bzw. in einer Art und
Weise, in der es leicht zu sogenannten "Kollateralschäden" kommen
kann, ist entsprechend dem Verbot von unterschiedslosen Angriffen in
den Zusatzprotokollen von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949
verboten, nicht jedoch ihr Einsatz im Allgemeinen.
Umstritten ist, ob Phosphorbomben nicht nur als Brandwaffe, sondern
wegen ihrer Giftigkeit auch als chemische Waffe anzusehen sind; deren
Einsatz würde gegen die Chemiewaffenkonvention verstoßen.
Andere Kritiker sehen auch einen Verstoß gegen Artikel 35 des ersten
Zusatzprotokolls, der "Waffen, Geschosse und Material, sowie Methoden
der Kriegführung" verbietet, falls sie "geeignet sind, überflüssige
Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen" oder "dazu bestimmt
sind oder von [ihnen] erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte,
langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt
verursachen".
(Quelle: Wikipedia)
Forderungen
Die IPPNW verurteilt den Einsatz von Weißem Phosphor nicht nur in
dicht besiedelten Gebieten, sondern generell. Nach Artikel 35 des
ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen ist es verboten,
Waffen, Geschosse und Material sowie Methoden der Kriegsführung zu
verwenden, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige
Leiden zu verursachen. Zwar verstößt der Einsatz von Weißem Phosphor
unverständlicherweise nicht gegen die Chemiewaffenkonvention. Die
medizinischen Folgen sind aber so inhuman, dass die Verwendung Weißen
Phosphors nach dem Protokoll III der "Konvention zu bestimmten
konventionellen Waffen" (Convention on Certain Conventional Weapons)
verboten und völkerrechtlich als Kriegsverbrechen geahndet werden
muss. Israel und die USA haben dieses Protokoll allerdings bisher
nicht ratifiziert.
Quellen:
White Phosphorus (WP), Global Security.org
www.globalsecurity.org/military/systems/munitions/wp.htm
John Emsley
Phosphor - ein Element auf Leben und Tod, Weinheim 2001
Merkblatt zur BK Nr. 1109
Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen
Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Arbeitsmedizin (Bek. des BMA v. 25.2.19819)
Wikipedia, Phosphorbombe, 22. Januar 2009
Prof. Dr. Ernst Rebentisch, Wehrmedizin, 1980
Kupfersulfat-Suspension gegen Phosphorverbrennungen
R. Dolder
In: Schweiz. Z. Milit.-Med. 57, 46-48, 1980
*
Quelle:
IPPNW factsheet - Januar 2009 - Eine Information der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW)
Angelika Wilmen
IPPNW-Geschäftsstelle, Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2009
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